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1 . HOMOCYSTEIN - (K)EIN NOTWENDIGES ÜBEL

Homocystein ist ein körpereigener Stoff, der beim Abbau von Eiweiß entsteht. Nützliche Wirkungen des Homocysteins wurden bisher nicht entdeckt, schädliche dagegen in so hohem Maße, dass es inzwischen als eigenständiger Risikofaktor bei Herzkreislauferkrankungen gilt.

1.1 Homocystein im Eiweißstoffwechsel

Bekanntlich entstehen selbst beim Abbau lebenswichtiger Substanzen im Körper vielfach Produkte, die giftig sind und daher ausgeschieden werden müssen. Zu ihnen zählt Homocystein, das sich aus der essenziellen Aminosäure Methionin bildet. Aminosäuren sind die einfachsten Bausteine der Eiweiße. Methionin, das täglich in einer Menge von etwa 2 Gramm aufgenommen werden muss, liefert für andere chemische Reaktionen Methylgruppen und ist darüber hinaus ein wichtiger Schwefellieferant für den Eiweißaufbau.
Zunächst entsteht unter Energieeinsatz durch Adenosinphosphat das sehr reaktionsfähige Adenosylmethionin (AdoMet), durch Abspalten der anderweitig benötigten CH.-Gruppe dann das Homocystein und schließlich das ausscheidungsfähige Cystein. Umgekehrt kann durch "Anhängen" einer CH3-Gruppe aus Homocystein wieder Methionin aufgebaut werden (Abbildung 1).

Abb.1: Stoffwechselvorgänge um das Homocystein zwischen Methioninaufnahme und Cysteinausscheidung

 

 

Das unerwünschte Zwischenprodukt Homocystein wird bei Gesunden mit ausreichender Vitaminversorgung rasch umgewandelt. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich ist, werden hierzu Vitamin B6 (Umwandlung in Cystein). die ebenfalls zur B-Vitamin-Gruppe gehörende Folsäure und Vitamin B" benötigt (Koppelung von CH3 zur Rückumwandlung in Methionin),

2. DIE ERNÄHRUNG SPIELT EINE ROLLE

Der Körper versucht, den Blutspiegel des als Zwischenprodukt anfallenden "Giftstoffes" im unschädlichen Rahmen zu halten, sodass seine ungünstigen Auswirkungen aufgefangen werden können. Dennoch kann der Homocysteinspiegel unter verschiedenen Bedingungen ansteigen. Dazu gehören zunächst erbliche Faktoren. Schon lange sind angeborene krankhaft erhöhte Blutspiegel (Hyperhomocysteinämien) mit weit über das Zehnfache der Norm erhöhten Spiegeln bekannt, Bereits vor 25 Jahren fiel auf, dass Patienten, die an dieser Krankheit leiden, bereits in sehr jungen Jahren an Herzinfarkten und arteriellen Gefäßverschlüssen leiden.
Die erblichen Formen beruhen auf Defekten der Enzyme, die den Abbau des Homocysteins unterstützen und sind sehr selten. Eine manifeste Krankheit tritt nur bei den Patienten ein, die auf jedem der beiden Chromosomen eines Chromosomenpaars ein entsprechend verändertes Gen für Homocystein-abbauende Enzyme tragen (homozygote Anlage). Bei nur einem von mehreren tausend Menschen ist dies der Fall. Die häufigere Variante, bei der nur ein Chromosom die Störung trägt, wird bei etwa einem von 70 Menschen beobachtet. Hier sind die Homocysteinspiegel nur mild erhöht und Komplikationen entsprechend wesentlich geringer ausgeprägt.

Trotz dieser relativ seltenen Erbgutveränderung werden zu hohe Homocysteinspiegel bei jedem zweiten über 50-Jährigen gemessen und treten auch in bestimmten Patientengruppen gehäuft auf (1). Weitere Faktoren müssen also eine Rolle spielen. Ganz im Vordergrund steht hier die nicht ausreichende Versorgung mit einer speziellen Gruppe der B-Vitamine (7).

2.1 B-Vitamine: Mehr als nur Nervennahrung

Die wasserlöslichen B-Vitamine bilden eine Gruppe, deren einzelne Mitglieder unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Für den Homocysteinspiegel von Bedeutung sind

Folsäure (Pteroylmonoglutaminsäure),
Vitamin B. (Pyridoxin, Pyridoxal, Pyridoxamin),
Vitamin B12 (Kobalamin).

2.1.1 Vitamin B6

Vitamin B6 ist an der Synthese und am Abbau von Aminosäuren beteiligt (Abb. 1). Weitere Aufgaben erfüllt es in der Synthese biogener Amine wie Histamin und Dopamin, die dem Körper als Botenstoffe dienen. Sie sind im zentralen Nervensystem für die Erregungsübertragung wichtig und beeinflussen die Blutbildung sowie das Immunsystem.
Indem es auch die Synthese des Lecithins unterstützt, trägt Vitamin B6 zur Vernetzung von Kollagen- und Elastinfasern bei. Damit sorgt es für ein elastisches Bindegewebe und für den Erhalt glatter Gefäßwände. Ein ausreichend hoher Lecithinspiegel bindet zudem schädliches Blutcholesterin. Zahlreiche weitere Funktionen sind bekannt.
Je eiweißhaltiger die Nahrung ist, desto höher muss auch die Vitamin B6 - Aufnahme sein. Bei vermehrtem Alkoholgenuss wird die Bindung des Vitamins B6 an Eiweiße verhindert, sodass es seine Wirkung nicht entfalten kann. Bei Kaffeetrinkern ist der Vitamin-B6-Spiegel gegenüber anderen Personen erniedrigt.
Vitamin B6 sollte täglich in einer Menge von etwa 2 mg aufgenommen werden. Enthalten ist es in Hefe und Vollkorn, in Fisch, Fleisch, grünem Gemüse, Möhren, Kartoffeln, Erdnüssen und Bananen.
Aufgrund moderner Ernährungsgewohnheiten ist die Versorgung mit diesen Vitaminen erfahrungsgemäß vor allem bei Jugendlichen, jungen Frauen und Senioren nur grenzvvertig oder sogar zu gering. Ein Beispiel: je heller das Mehl, desto niedriger der Vitamin B-Gehalt, besonders niedrig beim am häufigsten verwendeten Weizenauszugsmehl!
Die Einnahme bestimmter Medikamente "verbraucht" zusätzlich Vitamin B6:
• "Pille"
die Tuberkulose-Medikamente Isoniazid und Cycloserin
D-Penicillamin und andere Antirheumatika
Parkinsonmittel

Auch verschiedene Krankheiten erhöhen den Bedarf:
Diabetes
Leberkrankheiten
bösartige Neubildungen (Krebs)
Krankheiten des rheumatischen Formenkreises
Neuropathien

2.1.2. Folsäure

Folsäure, früher als Vitamin B9 bezeichnet, wurde vor etwa 60 Jahren erstmals aus Spinatblättern isoliert (Folium = Blatt). Das Vitamin ist unter anderem für die Übertragung von Methylgruppen zuständig - ein wichtiger Mechanismus im Homocystein-Stoffwechsel (Abb. 1). Da die Übertragung von Kohlenstoffgruppen auch im Nukleinsäurestoffwechsel (Erbsubstanz!) durch Folsäure unterstützt wird, ist das Vitamin darüber hinaus im Zellwachstum und bei der Zellteilung ausgesprochen wichtig.
Folsäure wirkt in vielen Reaktionen als Koenzym, also als ein Katalysator, der zwar anwesend sein muss, aber nicht "verbraucht" wird. In weiteren, nicht-koenzymatischen Funktionen beeinflusst sie die Nervenbotenstoffe und die Bildung des roten Blutfarbstoffes. Auch beim Aufbau der Phospholipide im Nervensystem und bei der Bildung des Hormons Melatonin spielt sie eine Rolle. Diese Funktionen kann die Folsäure allerdings nur gemeinsam mit Vitamin B, ausüben.

Wichtig: Eine erhöhte Gabe von Folsäure kann einen B12 - Mangel kaschieren. Deshalb sollten Vitamin B12 und Folsäure immer zusammen eingenommen werden.

Folsäuremangel ist in Industrieländern die häufigste Vitaminmangelform. Besonders gefährdet sind Schwangere, Säuglinge und ältere Menschen. Erstere, weil sich bei ihnen die Zellen besonders rasch und zahlreich teilen, letztere, weil die Verwertung der Folsäure aus der Nahrung immer schlechter wird. Die Folsäureaufnahme aus der Nahrung ins Blut beträgt bereits bei idealen Bedingungen nur etwa 40% des Nahrungsangebots und nimmt mit zunehmendem Alter weiter ab.
Synthetische Folsäure wird fast vollständig resorbiert. Um Mangelerscheinungen vorzubeugen, reichen 400 Mikrogramm täglich aus. Folsäurequellen in der Nahrung sind Blattgemüse, Kartoffeln, Zitrusfrüchte, Trauben, Kirschen, Erdbeeren, Vollkornprodukte und Fleisch. Zwar gehören auch Innereien zu den guten Folsäurequellen, sie sollten indessen wegen oftmals bedenklicher Schadstoffbelastungen höchstens einmal monatlich genossen werden.
Der Folsäurebedarf ist unter folgenden Bedingungen erhöht:
• Mangel- und Fehlernährung, z.B. hoher Anteil an Fast Food im Speisezettel
gesteigerter Alkoholgenuss (verschlechterte Aufnahme ins Blut)
entzündliche Darmkrankheiten (gestörte Resorption)
Medikamenteneinnahme: Medikamente bei Epilepsie, "Pille" und andere östrogene, das Schmerzmittel Acetylsalicylsäure (Aspirin) Zytostatika, Antibiotika (zerstören folsäurebildende Darmbakterien)
• Tumoren
• Schwangerschaft, Stillzeit
verschiedene Krankheiten mit Beteiligung des Nervensystems
Leberkrankheiten

2.1.3 Vitamin B12 (Kobalamin)

Kobalamin wurde als letztes der bekannten Vitamine entdeckt. Seine Aufgaben im Körper sind weit weniger vielseitig als bei anderen Vitaminen, aber gerade im Homocysteinstoffwechsel ist es sehr wichtig: Vitamin BI 2 ist ein Methylgruppenüberträger, ohne den Homocystein nicht in Methionin zurück verwandelt werden kann.
Vitamin B12 wird im Körper als einziges wasserlösliches Vitamin mit einem erstaunlich großen Vorrat gespeichert. Selbst bei völligem Ausbleiben jeglicher Vitamin-B12-Zufuhr mit der Nahrung reicht das Depot im Körper für mehrere Jahre. Das Vitamin wird von Bakterien, nicht jedoch von höheren Pflanzen und Tieren gebildet. Darmbakterien können es zwar herstellen, aber das im Dickdarm gebildete Vitamin tritt im menschlichen Organismus nur sehr begrenzt ins Blut über. Nahrungsquellen sind vor allem Fleisch. Bei strengen Vegetariern ist demnach die Versorgung häufig kritisch.
Selbst bei gutem Vitamin-B12-Angebot aus der Nahrung kann ein Mangel eintreten, weil für die Aufnahme ins Blut der im Magen gebildete sogenannte intrinsic factor (IF) zugegen sein muss. Nach Magen- und Darmoperationen, bei bestimmten Magen- und Darmkrankheiten und vor allem bei der im Alter sehr verbreiteten Magenschleimhautentzündung mit Zurückbildung der Schleimhaut (atrophische Gastritis) wird nicht ausreichend IF gebildet, sodass ein Vitamin-B12-Mangel eintritt. Die orale Substitution ist dennoch sinnvoll, da Vitamin B12 z. T auch passiv resorbiert wird.
Das Vitamin B12 wird für die Freisetzung der Folsäure aus ihren Speichern benötigt, sodass sich die WirkungsfeIder der beiden Vitamine überschneiden ebenso wie im Umbau des Homocysteins. Vitamin B12 erfüllt darüber hinaus Funktionen bei der Blutbildung (rote, weiße Blutkörperchen und Blutplättchen) und im Nervensystem.
Der Bedarf ist erhöht bei Mangel an IF. Hier müssen entweder sehr hohe Dosen oral gegeben werden, weil hierbei nur noch etwa 1 % der verabreichten Menge ins Blut aufgenommen werden können, oder sie werden in größeren Abständen intramuskulär verabreicht. Weitere, weniger stark ausgeprägte Mangelzustände können auftreten bei
• Vegetariern (zu geringe Aufnahme)
hohem Alkoholkonsum, Tabakgenuss (Resorptionsstörungen, zu geringe Aufnahme)
nach Darm- und Magenoperationen (zu geringe Resorptionsfläche) und generellen Störungen der Aufnahme ins Blut: entzündliche Darmkrankheiten, Bauchspeicheldrüsenentzündung
Medikamenteneinnahme ("Pille", krebshemmende Mittel, Lipidsenker, H2-Rezeptorenblocker, verschiedene Antibiotika, Biguanide gegen hohe Zuckerspiegel, Aminosalicylsäure bei entzündlichen Darmkrankheiten)

3. ERHÖHTER HOMOCYSTEINSPIEGEL: DIE FOLGEN

Die Folgen eines erhöhten Homocysteinspiegels wirken sich nach heutigen Erkenntnissen vor allem in drei Bereichen aus:
an den Blutgefäßen
im Stoffwechsel der Nervenbotenstoffe
bei der Entstehung neuen Lebens (während der Schwangerschaft)
Vor allem auf dem Gebiet der Gefäßerkrankungen sind die Kenntnisse heute am besten gesichert. Die Mechanismen, über die Homocystein die Gefäße schädigt, sind in Abbildung 2 dargestellt. Sie wirken sich vor allem an den Arterien aus, da hier durch die hohe Druckbelastung der Verschleiß um ein Vielfaches höher liegt als an den Venen. Betroffen sind alle Gefäßgebiete: die des Herzens, des Gehirns und der peripheren Arterien.

Abb.2: Die Beteiligung des Homocysteins an Gefäßschäden. Ein erhöhter Spiegel erniedrigt die NO-Bildung (NO ist die am stärksten gefäßerweiternde körpereigene Substanz) zerstört die Endothelschicht, wodurch Gerinnungsprozesse (Anlagerung von Blutplättchen und Fibrin) ausgelöst werden, produziert aggressive Sauerstoffradikale (H202) und steigert die gefäßschädigende Oxidation des LDL-Cholesterins (Ox-LDL).

Zum Teil verursacht das Homocystein selbst, zum Teil verursachen weitere Reaktionsprodukte eine gesteigerte Ablagerung oxidierter Cholesterinkristalle, eine vermehrte Calciumeinlagerung ("Verkalkung"), eine vermehrte Kollagenbildung (sodass die entstehenden Ablagerungen oder "Plaques" zunehmend vernarben), eine Hyperplasie der glatten Muskelzellen, eine Degeneration der elastischen Fasern und damit einen weiteren Elastizitätsverlust (Arteriosklerose) und eine Anregung der Gerinnselbildung nach Setzen eines Zellschadens an den gefäßauskleidenden Zellen.
Insgesamt führen diese Faktoren allesamt - ebenso wie die bekannten Risikofaktoren für eine Arteriosklerose - zu einer zunehmenden Einengung der Arterien und schließlich zu deren Verschluss, meist durch hinzukommende Gerinnsel-"Pfropfen" (Abb. 3).

Abb.3: Vorgänge bei einem arteriellen Verschluss
Am Herzen führt dies zu Angina pectoris bis hin zum Herzinfarkt, zu Rhythmusstörungen und Herzschwäche, am Gehirn zu Durchblutungsstörungen mit Schwindel, Konzentrationsstörungen, Verwirrtheit, geistigem Verfall (Demenz) und Schlaganfall, an den Beinen zur sogenannten Schaufensterkrankheit (Schmerzen unter Belastung, in höheren Stadien sogar Ruheschmerz und Absterben von Gewebe).

 

Schon ein relativ geringfügig erhöhter Homocysteinspiegel steigert sehr deutlich das Risiko für Gefäßkrankheiten, unabhängig von anderen Risikofaktoren (1). Kommen bei einem Patienten zwei oder noch mehr Risikofaktoren zum Tragen, ist die Wahrscheinlichkeit, beispielsweise an einem Herzleiden zu erkranken oder zu sterben, sehr stark erhöht (Abb. 4).

Abb.4: Wahrscheinlichkeit für arterielle Verschlusskrankheiten in Abhängigkeit von den "klassischen" Risikofaktoren mit oder ohne gleichzeitige Hyperhomocysteinämie. Faktor 1 ist das "normale" Basisrisiko.

 

4. DIAGNOSE EINES ERHÖHTEN HOMOCYSTEIN-SPIEGELS

Noch ist die Homocystein-Bestimmung keine Standarduntersuchung. Wegen ihrer Bedeutung für die Prognose von Gefäßleiden und auch Demenzen (z.B. bei Patienten mit Nierenkrankheiten im Endstadium) wird sie jedoch von vielen Labors inzwischen angeboten und kostet etwa 40 DM. Die Privatkassen erstatten diese Kosten.
Der Homocysteinspiegel lässt sich mit unterschiedlichen Laborverfahren durch Bestimmung im Plasma ermitteln. Überwiegend werden chromatographische Verfahren eingesetzt. Eine rasche Verarbeitung der Blutprobe (Zentrifugation innerhalb von 30 Minuten, wenn dies nicht möglich ist: unbedingt Kühlung auf 0-2°C) ist notwendig, weil sonst durch Zerfall der roten Blutkörperchen Homocystein aus den Zellen ins Plasma gelangt und einen zu hohen Plasmaspiegel vortäuscht. Üblicherweise wird der Wert bei nüchternen Patienten bestimmt, er scheint aber relativ unabhängig von der Nahrungsaufnahme und Tageszeit zu sein .

4.1 Normwerte, Grenzwerte

Über die erblichen Hyperhomocysteinämien wurde die gefäßaggressive Wirkung des Abbauproduktes Homocystein entdeckt. Bei diesen erblichen Veränderungen der Enzyme liegen die Homocysteinspiegel oft zehn- oder zwanzigfach höher als der Normwert. Hier einen pathologisch erhöhten Spiegel zu definieren, ist nicht schwierig. Wo aber ist die Grenze zum Normwert zu ziehen? Hier wurden die Wissenschaftler in den letzten Jahren immer strenger. Derzeit wird eine Einteilung in milde, mittlere und schwere Hyperhomocysteinämie vorgeschlagen .
Nachdem klar wurde, dass bereits ein milder Anstieg des Homocysteinspiegels mit deutlich erhöhtem Krankheitsrisiko einher geht, tendieren die Forscher heute dazu, den Grenzwert bereits bei 10 µmol/l festzulegen, der noch vor wenigen Jahren bei Werten über 14 µmol/l lag. Da einerseits die Folgen eines erhöhten Homocysteinspiegels sehr schwer wiegen, andererseits die Behandlung völlig unkompliziert, preisgünstig und nicht durch unerwünschte Nebenwirkungen belastet ist, herrscht inzwischen über folgende Einteilung weitgehend Einigkeit:

4.1.1 Nüchternwert

< 8 µmol/l  

kein erhöhtes Homocystein-abhängiges Risiko

8-10 µmol/l:

grenzwertiger Befund. Schädliche Auswirkungen, beispielsweise über Einfluss auf die Gerinnung, bereits möglich. Erhöhtes Risiko daher nicht auszuschließen, Behandlung empfohlen.

10- 15 µ mol/l: 

erhöhter Homocysteinspiegel mit gefäßaggressiven Wirkungen: deutliche Risikosteigerung, z.B. für Gefäßeinengungen an der Karotis, durch Studien belegt. Behandlung erforderlich.

15 µmol/l:

deutlich erhöhte Homocysteinkonzentration mit deutlich gesteigertem ArterioskIerose Risiko in den Gefäßgebieten Herz, Gehirn, periphere Arterien, erhöhtes Risiko für Thromboembolien; Behandlung unbedingt erforderlich.

4.1.2 Risikofaktoren

Für die Frage, bei welchem Patienten ein erhöhter Homocysteinspiegel besonders wahrscheinlich ist, sind alle Faktoren zu berücksichtigen, die auf den Homocysteinspiegel Einfluss nehmen (Tab. 1;8,10). An einen erhöhten Homocysteinspiegel zu denken, ist vor allem wichtig bei Patienten mit ohnehin erhöhter Wahrscheinlichkeit für Herz-KreisIauf-Krankheiten, also bei folgenden Risikofaktoren:
• erhöhte Blutfettspiegel - vor allem an LDL-Cholesterin (bei erblichen Störungen und bei Metabolischem Syndrom, Übergewicht mit bauchbetonter Fettsucht, bei Frauen beispielsweise ab Taillenumfang von ca. 80 cm, bei Männern von 95 cm
• Raucher (siehe Abb. 5)
• Diabetes Typ 1 und 2 (siehe Abb. 5)
• erhöhter psychosozialer Stress
• hoher Blutdruck
• auffallende Häufung von Herz-Kreislaufkrankheiten bei nahen Verwandten, besonders in jüngeren Lebensjahren

Abb. 5: Beeinflussung des Homocysteinspiegels durch Rauchen bei Gesunden und Diabetikern.

 

Bei bis zu 50 %, nach einigen Studienergebnissen sogar 60 %, der Patienten mit ArterioskIerose sind die Homocysteinspiegel erhöht (4,5,7). Die Auswirkungen sind ebenso ernst zu nehmen wie die eines erhöhten Cholesterinspiegels, wobei das Cholesterin als "Herzbösewicht" bisher weitaus bekannter und "akzeptierter" ist als das Homocystein.

 

Ernährung

Vitamin B6-Mangel 
Vitamin B12-Mangel 
Folsäuremangel 
Erhöhte Eiweiß- bzw. Methioninaufnahme 
(Methionin besonders reichlich in Fleisch, Eiern, Milch vorhanden) 
Strenger Vegetarismus 
Reichlicher Kaffeegenuss (1 I/Tag steigert messbar den Homocystein-Spiegel) 
Alkoholmissbrauch

Genetische Faktoren

Enzymdefekte (Auftreten von Symptomen bei homozygoter Anlage bereits in der Kindheit)

Alter und Geschlecht

Höheres Lebensalter (bei > 50-Jährigen mehr als 50 % betroffen) Männer häufiger betroffen als gleich alte Frauen Frauen holen nach den Wechseljahren auf

Krankheiten

Diabetes Krebsleiden Chronisches Nierenversagen, erhöhter Kreatininspiegel Gesteigerte Thrombosehäufigkeit Schvvere Schuppenflechte ArterioskIerose

Medikamenteneinnahme

Colestipol (Lipidsenker) Methotrexat (Chemotherapeutikum) Niacin (Vitamin B., als Medikament z.B, bei Fettstoffwechselstörungen, Hautleiden u.a. eingesetzt) Nitrat (gefäßerweiternd bei Angina pectoris/koronarer Herzkrankheit) Östrogenhaltige Empfängnisverhütungsmittel Phenytoin und Carbamazepin (Epilepsie Medikamente) Theophyllin (Antiasthmatikum) Parkinsonmittel (über B.-Mangel) Antazida (über B12-Mangel) Antibiotika (über B12-Mangel) Antirheumatika (über B6-Mangel)

Tab. 1: Faktoren, die mit einem erhöhten Homocysteinspiegel (Hcy) vergesellschaftet sind 

Die Ursachen für einen Vitamin-B-Mangel wurden bereits oben geschildert. Hinweise hierauf sind die folgenden Beschwerden oder Symptome:
• Missempfindungen wie Kribbeln, Taubheitsgefühl, verändertes Schmerzempfinden, verringertes Vibrations-, Tast-, Berührungsempfinden, Gangunsicherheit
• Sehstörungen
• Gedächtnisstörungen
• geistigerAbbau, Depressionen, Halluzinationen, Persönlichkeitsveränderungen
Die typischen Vitamin-B-Mangelsymptome werden nur sehr selten und bei schwerer Fehloder Mangelernährung beobachtet. Hierzu gehören auch Entzündungen der Lippen und der Zunge, erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen, seborrhoische Hautveränderungen um Nase und Augen, Störungen des Blutbildes wie Blutarmut (Ausweis) und verminderte Zahl der Immunzellen.

4.1.3 Weiterführende Diagnostik

Nur bei auffallend stark erhöhten Homocysteinspiegeln oder einer Krankengeschichte, die auf eine erbliche Störung hinweist, werden unter Umständen weitere Untersuchungen durchgeführt.
Die Bestimmung der Vitaminspiegel ist zunächst weniger aussagekräftig als das Messen des Homocysteinspiegels. Wurde beispielsweise ein erniedrigter Folsäurespiegel ermittelt, kann daraus nicht abgeleitet werden, ob es sich um einen augenblicklichen Mangel oder um bereits entleerte Depots handelt.

5. BEHANDLUNG EINES ERHÖHTEN HOMOCYSTEIN-SPIEGELS

Die im vorangegangenen Abschnitt geschilderten Behandlungsempfehlungen wurden aus Studien abgeleitet, die - wie beispielsweise in Abbildung 6 wiedergegeben - ein deutlich erhöhtes Risiko bei erhöhtem Homocysteinspiegel zeigen.
Im Bereich einer milden bis mittleren Erhöhung des Homocysteinspiegels besteht die Behandlung in der Gabe von Folsäure, Vitamin B6 und B12, weil sich die Kombination am effektivsten erwies (Abbildung 7; 2, 3, 5).
Bei den erblichen Formen mit sehr deutlicher Hyperhomocysteinämie gehören die Vitamine ebenfalls zur Behandlung, reichen aber nicht aus. Hier muss die Therapie ohnehin in der Hand von Spezialisten liegen.
Die Behandlung mit den B-Vitaminen Folsäure, Vitamin B6 und B12 in den notwendigen Dosierungen ist praktisch frei von unerwünschten Wirkungen. Eine völlig andere Situation herrscht z.B, bei der -medikamentösen Behandlung eines zu hohen Cholesterinspiegels!

Wasserlösliche Vitamine (zu ihnen gehört auch das Vitamin C) können nicht überdosiert werden. Übersteigt ihre Einnahme den Bedarf, werden sie über die Nieren ausgeschieden. 
Der B edarf gerade der B-Vitamine ist allerdings heute eher
grenzwertig gedeckt. Sie erlangten bisher weniger Aufmerksamkeit als beispielsweise Vitamin C oder das "zellschützende" Vitamin E.

In den USA und anderen Ländern wurden bereits Getreideprodukte und Mehle mit Folsäure angereichert, da das Vitamin nicht nur das Risiko für Gefäßleiden senkt, sondern auch das Risiko bestimmter Missbildungen (sogenannter Neuralrohrdefekte) in der Schwangerschaft. In Deutschland ist eine breite Anreicherung von Lebensmitteln allerdings durch gesetzliche Hürden weitgehend blockiert, und die Bedeutung des Homocysteins für Gefäßleiden ist noch bei weitem nicht so stark ins Bewusstsein eingedrungen wie es beispielsweise bei Cholesterin der Fall ist.
Geht es um Behandlung und auch Vorbeugung erhöhter Homocysteinspiegel, ist zunächst die Frage der Dosierungen von Bedeutung.
Der Bedarf wird durch die Nahrung vielfach nicht gedeckt. Raffinierter Zucker und Auszugsmehle enthalten nur noch einen Bruchteil des ursprünglichen Vitamingehaltes. Durch Zubereitung wie Backen und Kochen geht ein weiterer Anteil verloren. Die Aufnahme ins Blut vermindert sich mit steigendem Alter, sodass eine Diät allein bei bereits erhöhtem Homocysteinspiegel keineswegs als zuverlässig angesehen werden kann.
Für Folsäure wird in der Zwischenzeit eine tägliche Zufuhr von 400 µg als wünschenswert angesehen (die durchschnittliche Aufnahme liegt mit etwa 250 µg deutlich darunter). Der Mindestbedarf für Vitamin B6, der bei Homocysteinämie deutlich überschritten werden sollte, liegt um 2mg täglich, der Mindestbedarf für Vitamin B12 bei 3-10 µg. In den giftigen Bereich gelangen Vitamin B 12 und Folsäure erst bei 100-facher Überdosierung. Bei langfristiger Aufnahme sehr hoher Dosen von Vitamin B6 wurde über das
Auftreten von peripheren sensiblen Neuropathien berichtet. Eine Zufuhr von bis zu 100 mg/Tag gilt heute als unbedenklich. Als sehr erwünschte "Nebenwirkungen" der genannten B-Vitamine wurden bei älteren Patienten ein Nachlassen von Verwirrtheit, Gereiztheit und Schlafstörungen beobachtet, bei jüngeren Frauen eine Besserung prämenstrueller Beschwerden mit Depressivität und Stimmungsschwankungen.  
Werden bei erhöhtem Homocysteinspiegel Folsäure, Vitamin B. und B12 eingenommen, fallen die Messwerte recht rasch in den Normbereich (Abbildung 8).

Abb. 8: Wirkung einer Kombination von Folsäure, Vitamin B, und B12 bei Hyperhomocysteinämie im Vergleich zu einer unbehandelten Gruppe (Placebo). Behandelt wurde über 3 Monate. In der B-Vitamin-Gruppe kam es zu einem signifikanten Rückgang der Homocysteinwerte im Plasma.


Allerdings ist es nicht damit getan, die Laborwerte einmalig zu senken, sondern sie müssen dauerhaft im Normbereich gehalten werden. Setzt man mit der zusätzlichen Vitamingabe aus, schnellen die Homocysteinspiegel ebenso schnell wieder in pathologische Bereiche, wie sie sich zuvor senken ließen. Die Behandlung muss daher auf Dauer fortgeführt werden.

6. NEUE STUDIEN

Die Tendenzen aktueller Studien: Der Grenzwert, ab dem ein Homocysteinspiegel als riskant eingestuft wird, verschiebt sich immer weiter nach unten. Zudem werden immer weitreichendere Auswirkungen des erhöhten Homocysteinspiegels erkennbar. Diskutiert wird beispielsweise eine Mitbeteiligung an der Demenzkrankheit Morbus Alzheimer.
Noch wird die Bedeutung des Homocysteins für Herz und Gefäße gegenüber anderen wie Cholesterin weit unterschätzt, aber auch hier tragen Studien dazu bei, die Tragweite des gefäßaggressiven Stoffwechselproduktes zu verdeutlichen.





Weitere Fachartikel aus dem Internet:

http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikeldruck.asp?id=44243

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT PRINT

Hertfelder, Hans-Jörg; Gnida, Christine; Pötzsch, Bernd; Hanfland, Peter

MTHFR-Polymorphismus C677T: Sinn und Unsinn der Diagnostik

Deutsches Ärzteblatt 101, Ausgabe 46 vom 12.11.2004, Seite A-3101

MEDIZIN



Zusammenfassung

Die Homocysteinämie ist ein zerebro- und kardiovaskulärer Risikofaktor. Da die 5-,10-Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR) in den Homocysteinstoffwechsel eingebunden ist, wird heute oft der MTHFR-Polymorphismus C677T unter der Annahme untersucht, dadurch eine Risikoaussage für kardiovaskuläre Krankheiten treffen zu können. Nur ein Teil der homozygoten MTHFR-677TT-Merkmalsträger weist jedoch erhöhte Homocysteinspiegel auf. Meist ist dies mit niedrigen Folsäurespiegeln im Serum verbunden. Der heterozygote C677T-Status ist ohne Einfluss auf den Homocysteinspiegel. Die Ursachen einer Homocysteinämie sind komplex. Am häufigsten führen erworbene Faktoren wie eine mangelhafte Vitaminversorgung und Störungen der renalen Elimination zu einer Störung des Methionin-Homocystein-Stoffwechselgleichgewichts. Ein tägliche kontrollierte Supplementierung von Folsäure, Vitamin B6 und B12 reicht in den meisten Fällen für eine Normalisierung des Homocysteinspiegels aus. Die molekulargenetische Analyse des MTHFR-Polymorphismus ist nur bei Versagen einer hoch dosierten Substitutionstherapie der genannten Vitamine in Verbindung mit einer Untersuchung der Vitaminserumspiegel zur Ursachenklärung gerechtfertigt.

Schlüsselwörter: Homocystein, Folsäure, kardiovaskuläres Risiko, Thromboembolierisiko, Vitamin B, Hyperhomocysteinämie

Eine milde Homocysteinämie ist seit mehr als einem Jahrzehnt als Risikofaktor für zerebro- und kardiovaskuläre Erkrankungen sowie venöse Thrombosen anerkannt (4, 6, 7, 16, 17, 23, 27, 29, 37). Neben dem unmittelbaren quantitativen Nachweis des Homocysteinspiegels wird in jüngerer Zeit ein Schlüsselenzym des Methionin-Homocystein-Stoffwechsels, die 5-,10-Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR) molekulargenetisch analysiert. Eine besondere Rolle spielt hierbei der MTHFR-Polymorphismus C677T im Hinblick auf eine Risikovorhersage für okklusive vaskuläre Erkrankungen (16). In neueren Untersuchungen wird jedoch der Nutzen dieser Analytik bezweifelt (1, 22, 25). Selbst die Bewertung einer milden Hyperhomocysteinämie im Hinblick auf ihre Bedeutung als kardiovaskulärer Risikofaktor wird kontrovers diskutiert (2, 5). Dennoch unterstreichen die Daten die Bedeutung der Hyperhomocysteinämie als zerebro- und kardiovaskulärer Risikofaktor in viel stärkerem Maße als der genannte MTHFR-Polymorphismus (3, 19, 24, 25, 26, 32, 33).

Der Methionin-Homocystein-Stoffwechsel

Homocystein ist ein Produkt des Methioninstoffwechsels (Grafik 1). Es entsteht als Abbauprodukt, wenn Methionin als Methylgruppendonator die Methylgruppe auf verschiedene intrazelluläre Akzeptoren überträgt. Das dabei entstandene Homocystein kann nachfolgend entweder durch Remethylierung zu Methionin regeneriert oder abgebaut werden. Der Abbau geschieht in einer zweistufigen Reaktion und ist abhängig von Pyridoxalphosphat, einem Derivat von Vitamin B6. Die Regeneration zu Methionin kann über zwei unterschiedliche Stoffwechselwege, dem Betainweg und dem Tetrahydrofolatstoffwechel, erfolgen. Der Betainweg wird hauptsächlich in der Leber beschritten. In den meisten anderen Geweben erfolgt die Remethylierung über den Tetrahydrofolatstoffwechsel, in dem die MTHFR eine zentrale Rolle spielt.

Homocystein als Risikofaktor für Thromboembolien

Der Homocysteinspiegel wird bestimmt vom Gleichgewicht zwischen seiner Regeneration zu Methionin und seiner Elimination. Homocystein entfaltet bei erhöhten Spiegeln vielfältige Wirkungen auf das arterielle und venöse Gefäßsystem (Textkasten). Aufgrund seiner zytotoxischen Eigenschaften wird seine intrazelluläre Konzentration niedrig gehalten. Dies geschieht einerseits über die beschriebene Katabolisierung, andererseits durch Export ins Plasma. Plasmahomocystein wird hauptsächlich in der Niere metabolisiert. Überwiegend wird es dort remethyliert und nur zu einem geringen Anteil mit dem Urin ausgeschieden (13, 15).

Im Plasma ist Homocystein an der chemischen Modifikation von LDL beteiligt (31). Aggregate aus Homocystein und LDL werden von Makrophagen phagozytiert (20). Dies führt zur Bildung von Schaumzellen und nachfolgend zur Bildung und Freisetzung reaktiver Sauerstoffspezies, welche die Atherogeneseprozesse fördern (21).

Kommt es zur intrazellulären Anreicherung, führt dies zum Zelluntergang, beispielsweise zur Endothelzelldesquamation (Abschuppung). Sekundär wird dadurch die Aktivierung des Gerinnungssystems sowie der Thrombozyten induziert (20, 31). Außerdem wird durch den Untergang von Endothelzellen die Thrombomodulin-abhängige Protein-C-Aktivierung beendet und damit die Inaktivierung der aktivierten Faktoren V und VIII (14) gestört. Hohe Plasmaspiegel von Homocystein fördern ferner die Proliferation von glatten Muskelzellen und führen zu einer Verdickung der Intima (35). Auch eine vermehrte Expression von „tissue factor“ wird unter erhöhten Homocysteinspiegeln beobachtet (14, 18). Dies induziert die Aktivierung der Gerinnungskaskade. An Thrombozyten löst es eine vermehrte Expression von Membranglykoproteinen sowie eine gesteigerte Thromboxan-A2-Freisetzung aus (14).

Ursachen einer Hyperhomocysteinämie

Am häufigsten ist eine Homocysteinämie auf erworbene Ursachen zurückzuführen. Hierbei spielen in erster Linie die Mangelversorgung mit Vitaminen des B-Komplexes (Folat, Vitamin B12 und Vitamin B6) sowie altersabhängig physiologische Einschränkungen der renalen Eliminationsfähigkeit eine Rolle (4, 6). Der Homocysteinspiegel steigt mit zunehmendem Lebensalter und ist bei Männern höher als bei Frauen. Der Anstieg beträgt pro Dekade circa zehn Prozent (circa 1 µmol/L) (9-12). Bewegungsmangel, übermäßiger Kaffeekonsum und methioninreiche Kost fördern ebenfalls die Zunahme des Homocysteinspiegels. Zahlreiche Medikamente interferieren mit dem Methionin-Homocystein-Stoffwechsel. Mehrere wirken als Antagonisten des Folsäure-, Vitamin-B6- und -B12-Metabolismus (Folsäure: Methotrexat, Trimethoprim, Antiepileptika; Vitamin B6: Theophyllin; B12: Hemmung beziehungsweise Störung der Absorption durch Metformin und Protonenpumpenhemmer). N-Acetylcystein stört den SH-Gruppentransfer. Der Mechanismus bei Lipidsenkern vom Fibrat-Typ ist unklar, eine Beeinträchtigung der renalen Elimination wird vermutet (32).

Bedeutung des MTHFR-Polymorphismus C677T

Der Austausch von Cytosin durch Thymin im MTHFR-Gen führt zu einem Ersatz der Aminosäure Alanin durch Valin. Der Aminosäureaustausch induziert eine Thermolabilität der MTHFR, die bei Körpertemperatur mit einer Aktivitätsabnahme des Enzyms um 70 Prozent einhergeht

(16). Bei ausreichender Versorgung des Organismus mit Folsäure ist die-

se Aktivitätsminderung jedoch bedeutungslos, weil Homocystein trotzdem ausreichend remethyliert werden kann, sodass es nicht zu einem Anstieg des Homocysteinspiegels kommt. Ist der Folsäurespiegel jedoch niedrig, kann es bei homozygoten (TT) Merkmalsträgern zu einem milden Anstieg des Homocysteinspiegels um etwa 25 Prozent (2 bis 3 µmol/L) kommen (19, 34, 39).

Die Prävalenz des MTHFR-C677T-Polymorphismus unterliegt erheblichen ethnischen Unterschieden. In Afrika wird er kaum angetroffen, wohingegen in Mitteleuropa und Nordamerika 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung dieses Merkmal aufweisen. Die Prävalenz des homozygoten TT-Genotyps variiert hierbei zwischen 5 und 15 Prozent (8).

Die Rolle des MTHFR-Polymorphismus bei der koronaren Herzerkrankung (KHK) und zerebrovaskulären Erkrankungen wurde vielfach untersucht. In einer 2001 erschienenen Metaanalyse von zwölf Fall-Kontroll-Studien durch Nakai et al. fand sich der C677T-Genotyp bei 34,9 Prozent von 5 370 Patienten, die an einer koronaren Herzkrankheit (KHK) litten. Etwa gleich häufig (33,6 Prozent) wurde das Merkmal bei 4 961 Personen ohne KHK festgestellt (25). Der homozygote TT-Genotyp war mit 12,8 Prozent bei KHK-Patienten gegenüber 10,9 Prozent bei Probanden ohne KHK nur marginal häufiger anzutreffen. Das relative Risiko (Odds Ratio) des TT-Genotyps für eine KHK betrug 1,18; dies spricht lediglich für eine schwache Risikozunahme. Die Homocysteinspiegel waren beim TT-Genotyp mit 14,4 ± 2,9 µmol/L geringfügig höher als bei den CC- (11,1 ± 1,9 µmol/L) und CT-Genotypen (11,9 ± 2 µmol/L) (25).

Auch in prospektiven Studien wurde bei Trägern der MTHFR-Mutation kein generell erhöhtes kardiovaskuläres Risiko festgestellt (1). Insbesondere beim heterozygoten CT-Genotyp ergaben sich weder eine signifikante Assoziation mit erhöhten Homocysteinspiegeln noch Hinweise auf eine auch nur geringgradig erhöhte kardiovaskuläre Gefährdung. Lediglich bei Patienten vom TT-Genotyp mit erhöhten Homocysteinspiegeln war das Risiko geringfügig höher (Odds Ratio 1,16) (19). Entscheidend für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko ist somit die Höhe des Homocysteinspiegels, der insbesondere von der vorhandenen Folat- und Vitamin-B12-Versorgung maßgeblich beeinflusst wird (38). Belegt wird dies auch durch Erfahrungen aus den USA. Dort wurde aufgrund des 1998 eingeführten Zusatzes von 150 µg Folat pro 100 g Getreideprodukten eine Senkung des Homocysteinplasmaspiegels erreicht (34). Durch die Folat-Supplementierung verringerte sich die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse bei Frauen um acht Prozent und bei Männern um 13 Prozent (34).

Moderate und schwere Formen der angeborenen Hyperhomocysteinämie sind hingegen meist auf heterozygote oder homozygote Enzymdefekte verschiedener Enzyme des Methionin-Homocystein-Stoffwechsels zurückzuführen. Den sehr selten vorkommenden, schwersten Formen mit Homocysteinspiegeln von mehr als 100 µmol/L (Deutschland: 1 : 300 000, Irland: 1 : 50 000) liegen in der Regel homozygote Enzymdefekte auf der Basis von familiär auftretenden Gen-Defekten zugrunde (30).

Am häufigsten besteht ein Defekt der Cystathionin-b-Synthase (CBS), aber auch Störungen der Cystathionin-Lyase (CL), der Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR), der Homocystein-Methyltransferase (HMT) und der Betain-Homocystein-Methyltransferase (BHMT) wurden beschrieben (28, 36). Schwere atherosklerotische Veränderungen der Gefäßwände und frühe arterielle und venöse

Gefäßverschlüsse entwickeln sich bereits im Kindes- oder Jugendalter. Ohne Behandlung führt die Erkrankung häufig früh zum Tod. Bei der Therapie wird versucht, mit hochdosierter Gabe des Kofaktors Vitamin B6 den Abbau von Homocystein zu Cystein und Cystin zu fördern (28). Moderate Formen der Hyperhomocysteinämie mit Homocysteinspiegeln von mehr als 30 µmol/L gehen meist mit heterozygoten Defekten der genannten Enzyme einher. Sie kommen ebenfalls nur selten vor. Auch diese Formen sind mit einer vermehrten Entwicklung von atherosklerotischen Prozessen verbunden (28, 30).

Diagnostik und Therapie der Hyperhomocysteinämie

Der individuelle Homocysteinspiegel ist in einem engen Bereich stabil, sodass eine zweimalige Bestimmung im Abstand von ein bis zwei Monaten aus Nüchternblut zum Ausschluss oder zur Diagnose einer Hyperhomocysteinämie ausreicht (32). Um falschhohe Resultate zu vermeiden, sind jedoch einige vorbereitende Regeln vor der Untersuchung zu beachten. Zwei bis drei Tage vor der Blutentnahme sollte der Patient keine methioninreiche Kost zu sich nehmen. Übermäßiger Kaffeekonsum wirkt sich ebenfalls ungünstig aus. Nach der morgendlichen Nüchternentnahme von EDTA-Blut ist eine möglichst rasche Abtrennung der Zellen durch Zentrifugation notwendig, um eine Homocysteinfreisetzung aus den Erythrozyten in der präanalytischen Phase zu vermeiden. Durch sofortige Kühlung der Probe auf +4 °C und gekühlten Transport ins Labor erweitert sich dieses Fenster auf ein bis zwei Stunden. Im engeren Zeitraum nach einem akuten kardiovaskulären Ereignis sollte der Spiegel ebenfalls nicht bestimmt, sondern zwei bis drei Wochen danach abgewartet werden.

Das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei Nachweis erhöhter Homocysteinspiegel ist im Schema der Grafik 2 zusammengefasst (modifiziert nach 32). Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung erhalten in jedem Fall eine kombinierte Supplementation von Folsäure und der Vitamine B6 und B12. Patienten mit anamnestischem Risiko und einem Homocysteinspiegel > 10 µmol/L sowie über 50 Jahre alte Personen mit Spiegeln > 12 µmol/L erhalten ebenfalls die Vitaminkombination (32). Inwieweit jedoch ein allgemeines Screening von über 50-Jährigen sinnvoll ist, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Wird nach vier- bis achtwöchiger Behandlung bei Patienten und Risikopersonen keine Senkung des Homocysteinspiegels erreicht, wird die Dosierung von Folsäure und Vitaminen gemäß dem Schema gesteigert. Führt auch diese Maßnahme nicht zum Erfolg, ist erst dann eine differenziertere Untersuchung unter Einschluss des molekulargenetischen MTHFR-Status sowie der Folsäure-, Vitamin-B6- und B12-Spiegel indiziert (32).

Schlussfolgerungen

Die molekulargenetische Untersuchung des MTHFR-C677T-Polymorphismus in der Diagnostik kardiovaskulärer Risikofaktoren ist von untergeordneter Bedeutung. Im Vordergrund steht die Bestimmung des Homocysteinspiegels. Bei manifesten kardio- und zerebrovaskulären Erkrankungen sowie bei Nachweis erhöhter Homocysteinspiegel bei Risikopersonen und Personen jenseits des 50. Lebensjahres sollte der Spiegel durch tägliche Folsäure-, Vitamin-B6- und B12-Substitution gesenkt werden. Erst bei Versagen auch einer intensivierten Substitution dieser Komponenten ist eine spezifische Diagnostik des Folsäure- und Vitamin-B-Stoffwechsels einschließlich des MTHFR-Polymorphismus indiziert. Hierbei prädisponiert nur der homozygote 677TT-Genotyp der MTHFR zu einer milden Homocysteinämie, wohingegen die heterozygote CT-Variante und der CC-Genotyp die Höhe des Homocysteinspiegels nicht beeinflussen. Als arterieller und venöser Risikofaktor für eine Thromboembolie ist der 677TT-Genotyp nur in Verbindung mit einer nachgewiesenen Homocysteinämie anzusehen. Eine Einstufung des heterozygoten Genotyps als ein alleiniger Risikofaktor ist hingegen nicht gerechtfertigt.



Manuskript eingereicht: 12. 5. 2004, angenommen:

12. 7. 2004

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 3101–3105 [Heft 46]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit4604 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Dr. rer. nat. Hans-Jörg Hertfelder
Institut für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
Sigmund- Freud- Straße 25
53105 Bonn

E-Mail: Hans-Joerg.Hertfelder@ukb.uni-bonn.de

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Orginalartikel mit Quellennachweis und Graphiken unter:

http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=44243





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